Kontakt – Die Technisierung eines Begriffs im Digitalen Zeitalter

Kürzlich kaufte ich mir im Bahnhof Potsdam einen Cafe. Am Tresen des Anbieters stand „Kontaktlos zahlen – grenzenlos genießen“.

Solchen Aufforderungen begegnen wir seit einigen Jahren: wir können kontaktlos einkaufen, einchecken, bezahlen … und jedes Mal, je nach aktueller Stimmungslage, amüsiert oder ärgert mich diese Einladung. Denn was steckt dahinter? Ich habe bislang nicht herausgefunden, wann genau der Begriff „kontaktlos“ in Umlauf gebracht wurde. Sicher waren es findige Marketing- und Werbeagenturen, die sich nie mit dem psychologischen Begriff Kontakt beschäftigt haben, sondern einfach auf marktgerechtes Framing spezialisiert sind.

Denn Kontakt bedeutet Verbindungs- und Beziehungsfähigkeit. Dass wir als Menschen verbindungs- und beziehungsfähig sind, ist die Basis unseres Daseins, stellt das Fundament dar, auf dem wir alle leben. Natürlich sind wir nicht immer gleich stark in der Lage, Verbindungen herzustellen, zu uns selbst, anderen Menschen und der Welt. Aber wir tun es, weil es unseren tiefsten Bedürfnissen entspricht. Das heißt: wir können gar nicht ohne die Verbindung, den Kontakt zu anderen und unsere Umwelt leben. Wir sind, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, ständig in Beziehung, auch schon rein physisch durch unseren Ein-und Ausatem.

Nun will uns die digitale Technologie und ihre Verkäufer weis machen, dass unser Leben viel leichter ist ohne Kontakt! Also ohne direkten Kontakt mit Menschen! Wenn ich kontaktlos einchecke, halte ich mein ausgedrucktes Ticket oder mein Smartphone mit dem QR-Code einer Maschine hin, oder ich wende mich, wie im Zug nicht mehr der Schaffnerin/ dem Schaffner zu, sondern nur noch ihrem/seinem Gerät, die den Code abliest. Wenn ich kontaktlos einkaufe und bezahle ebenfalls – ich kommuniziere mit der Technik. Kontaktlos bin ich nie, der Kontakt ist nur verlagert, ich beziehe mich jetzt eben auf eine Maschine, gebe dieser meine Aufmerksamkeit, wende mich dieser zu.

Kontaktlos unterwegs zu sein heißt übersetzt: es gibt keine Büros, Schalter, Tresen, Einkaufsbänder und Kassen mehr, an denen Menschen stehen, sondern Maschinen. Es bedeutet, dass menschliche Arbeit automatisiert und wegrationalisiert wurde.

Das positive Framing des Begriffs Kontaktlosigkeit impliziert, dass zwischenmenschliche Kontaktaufnahme und Kommunikation etwas Lästiges, Aufwändiges, Unnötiges ist. Kontakt ist nicht mehr ein tiefes menschliches Bedürfnis, sondern Kontakt ist weglassbar.

Es ist das große Versprechen des digitalen Zeitalters: leicht, einfach und bequem, ohne Mühe und großen Zeitaufwand unterwegs – und angeblich kontaktlos leben zu können. Dieses Framing suggeriert, dass wir andere Menschen nicht brauchen.

Erschaffen wird ein verkaufsträchtiges Narrativ, das zwischenmenschliche Ansprache und Aufmerksamkeit entwürdigt und entwertet. Und gleichzeitig die zunehmende Technisierung und Digitalisierung des Lebens aufwertet und in ein Wohlfühl-Narrativ umwandelt: Es ist die technische Fortschritts-Erzählung vom schönen, leichten,  unabhängigen Leben.

Nur mit einem Narrativ, das uns Menschen suggeriert, die Welt sei ständig, schnell und leicht für uns verfügbar (denn ich kann überall wo ich bin, kontaktlos Kontakt aufnehmen) ist es möglich, menschliche Träume und Sehnsüchte ins Rollen zu bringen und damit auch die Akzeptanz einer digitalisierten Welt zu erhöhen. Denn die Digitalisierung erfüllt in einem hohen Maß Sehnsüchte nach Reichweite und Verfügbarkeit, so hat es der Soziologe Hartmut Rosa in seinem Essay  „Unverfügbarkeit“ herausgearbeitet. Aber wir bleiben ohne Resonanz zurück.

Bis vor wenigen Jahren war  „Kontakt“ für uns implizit, wir haben nicht gesagt: ich bezahle heute mit Kontakt. Es war selbstverständlich, dass ich einem Menschen, wenn auch nur kurz begegne, mich ihr/ihm zuwende, Blickkontakt herstelle, vielleicht einen kurzen Austausch hatte – oder zumindest ein paar Wahrnehmungen über das Gesicht, den Ausdruck, die Stimme und Körperhaltung meines Gegenübers hatte, mit der/dem ich über eine Dienstleistung in Kontakt war.

Dies fällt jetzt alles weg. Dieser lästige Kontakt mit einem lebendigen Wesen. Jetzt habe ich Kontakt mit einer Maschine. Auch hier können Gefühle entstehen oder Stimmungen angefacht werden, z.B. Ungeduld, Ärger, wenn die Technik nicht gleich  funktioniert. Oder es bleibt einfach eine Art stumpfe Begegnung. Ich setze mich mit meinem Gerät auseinander, dann mit einem zweiten, es entsteht keine Resonanz, ich bleibe bei mir, in mir zurück.

Vielleicht bin ich erleichtert, weil der technische Ablauf gut geklappt hat, vielleicht habe ich auch Unmutsgefühle, weil ich die Technik nicht geblickt habe … wo ist der andere Mensch, der mir hilft, die Welt zu verstehen, mit dem ich – wenn auch nur kurz- etwas teilen kann ? Der Kontakt, den ich so dringend, gerade heute, brauche?

 

 

 

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