Muss es immer MEHR werden?
Der Stress, dass etwas mehr werden muss im Leben: mehr Wohlstand, mehr Geld, mehr Erfolg, mehr Gesundheit, mehr Wohlbefinden, mehr Zufriedenheit und mehr Sicherheit, überhaupt!
Was muss mehr – und was muss weniger werden in unserem Leben? Was sollte aufhören? Und was könnte neu beginnen, oder auch einen kleinen Wachstumsschub gebrauchen? Aber keinesfalls: mehr, weiter, größer, schneller, schöner, effizienter, gewinnbringender. Die Vernützlichungs-und Optimierungsmaschine läuft ständig in unserer Kultur und in unseren Köpfen.
Die Steigerungslogik des MEHR erschafft permanent Spannung, Beschleunigung, Druck und Wettbewerb. Erwiesen ist inzwischen, dass sie gefühlt nicht zu mehr Lebensglück, mehr Sinn-Erleben und Selbstwirksamkeit in unserer Welt führt.
Aber anscheinend brauchen wir das MEHR. Wir hängen da dran, an dieser großen Sinnkonstruktion, diesem Versprechen der Moderne, dass nur Steigerung zu Fortschritt führt und uns als Menschen weiterbringt.
Wir können nicht damit aufhören. Das MEHR im Leben stresst uns zwar alle, aber es gibt uns Halt, ist wie ein Fels in der Brandung, in diesem Meer von MEHR. Geben wir diesen Halt auf, glauben wir unterzugehen. Und das will verständlicherweise niemand.
Warum konzentrieren wir uns nicht auf WENIGER? Weil wir mit weniger gar nicht umgehen können? Mit etwas aufhören, etwas weniger tun, das hört sich in unserer Kultur nicht so tough an wie: etwas mehr machen, fortsetzen, voranbringen. Wir schaffen das schon, wir kommen da durch, wir kriegen das hin, auch das Schwierige, auch das MEHR.
In ihrem Buch „Genug ist genug – Über die Kunst des Aufhörens“ nimmt Marianne Gronemeyer den Begriff Aufhören unter die Lupe. Sie stellt fest, dass es im Deutschen einen sprachgeschichtlichen Zusammenhang zwischen hören und aufhören gibt, also im Sinne von aufhorchen. Wer mit etwas aufhören will, ist gefordert, auf etwas zu hören. Und hier gilt es, ein klares Unterscheidungsvermögen zu entwickeln: auf was oder wen höre ich? Wem oder was glaube und vertraue ich?
Wie wäre es, mit dem MEHR aufzuhören und stattdessen mit Begriffen wie: erhalten, bewahren, pflegen und Sorge tragen aufs Leben zu schauen? Oder damit: Überflüssiges abschmelzen zu lassen, Aufgeblähtem die Luft rauszulassen, sich Vorhandenem zuzuwenden?
Ab wann sind wir genügend gesättigt, um uns einfach auf die Essenz unseres Menschseins zu konzentrieren, auf das, was wir wirklich brauchen, um gut miteinander zu leben?
Und wie ist das in unserer jeweils individuellen Biografie? Wann wollten wir immer MEHR haben, MEHR werden, MEHR bekommen. MEHR oder WENIGER – konnten wir das ausgleichen? Oder leiden wir heute noch daran?
